zurück

Crossmedia Design & Marketing

Am 22. und 23. April 2002 fand bei der Deutschen Welle in Berlin der Eyes & Ears Workshop "Crossmedia Design & Marketing“ statt. Zu den fast 30 Teilnehmern zählten diesmal auch viele Mitarbeiter der Dritten Fernsehprogramme. Seitdem der WDR federführend für die anderen Landesrundfunkanstalten ein Content-Management-System eingeführt hat, scheint Crossmedia Design & Marketing auch für die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ein immer wichtiger werdendes Thema zu sein.

Zu Beginn der Veranstaltung führte Klaus Ulbricht, Director Integrierte Unit der Agentur FCB Berlin, den Begriff des Prosumers in die Diskussion ein. “Schließlich haben wir es nicht mehr nur mit dem reinen Konsumenten als Gegenüber zu tun, sondern mit jemanden, der aktiv - on demand - an Medien herangeht, der einbezogen werden möchte. Dieser Prosumer wird stilprägend sein, auch wenn nicht jeder Consumer zum Prosumer werden wird. Und in vielen Fällen hat sich diese Wandlung bereits vollzogen, ohne dass wir es bemerken. Beispielsweise wenn wir im Internet unter »www.spiegel.de« gezielt nach zusätzlichen Informationen suchen.
Auch wenn Ulbricht selbst mit vielerlei Thermini jonglierte, so sieht er doch die Verwendung von Begriffen, die dem versprochenen Inhalt nicht gerecht werden, skeptisch: “Das Nicht-Zu-Ende-Denken der Hypermedia hat zu Multimedia, das Nicht-Zu-Ende-Denken denken des Multimedia hat zur Konvergenz und das Nicht-Zu-Ende-Denken der Konvergenz hat zu integrierten Medien geführt und so weiter.“
Infolgedessen kritisiert er, dass bisherige Anwendungen aus der Sicht einer reinen (oft technischen) Machbarkeit heraus entwickelt wurden (wie WAP-Handys), ohne nach der Relevanz und der Notwendigkeit für den Konsumenten zu fragen. Und so konstatiert er selbstkritisch: “Wir verkaufen zu sehr Dinge, die wir haben, statt dass wir nach Dingen suchen, die die Menschen wirklich brauchen.“
In Crossmedia sieht er die konvergente Zukunft der Medienintegration als kontextualisierendes Paradigma. In diesem Szenario ist und bleibt jedes Medium anders, Inhalte werden jedoch über Dramaturgien verknüpft und abgestimmt. Crossmedia bedeutet demzufolge, dass medienübergreifend die Fähigkeiten einzelner Medien in den gesamten Kommunikationsprozess integriert werden. Das WWW kann dabei die Rolle eines organisierenden Mediums übernehmen, weil es über die erforderlichen Zugriffs- und Responsemöglichkeiten verfügt.
Wobei Ulbricht klarstellt: “TV-spezifische Themen einfach im Internet zu adaptieren macht keinen Sinn. Es sei denn, man beginnt, im Fernsehen eine Geschichte zu erzählen, erhöht damit die Aufmerksamkeit und versucht dann im nächsten Medium hiermit weiterzuspielen, wie dies beispielsweise in der Clio-Werbung der Fall war, die als Internetspiel dramaturgisch weiterentwickelt wurde.“

Im Widerspruch zu Ulbricht glaubt Dirk Kartes, Marketingleiter bei Pro Sieben Multimedia, dass in einer interaktiven Welt die Fernsehmarke lediglich die Kompetenzen der TV-Formate weiterführen muss, um sich durchzusetzen. Denn wenn man viele Millionen an Mediavolumen investiert, um den Menschen einzuprägen: “Heute kommt Pro Sieben!“, dann ist es nur logisch, das wirtschaftliche Erfolgspotenzial der Marke zu nutzen und TV-Formate im Internet multimedial zu verlängern. Wie dies funktioniert, zeigt Kartes am Beispiel der interaktiven Abenteuershow “Mission Germany – Agenten für 30 Tage.“
Der Internetauftritt ist in diesem TV-Format fester Bestandteil des Sendungskonzeptes und nicht nur ein added value. Um bei dieser Fernsehsendung gewinnen zu können, ist es fast unerlässlich, dass die Fernsehzuschauer im Internet in einer eigenen Community Agentenclans bilden sowie via Chat und Foren Tipps über den Verbleib der gesuchten TV-Kandidaten austauschen. Mittels SMS kann man sich ferner mobil am Spurenlesen beteiligen, so dass Käufer eines neuen i-mode Handys über erhöhte Gewinnchancen verfügen.
Mobile Services der Deutschen Bahn oder eines Hotelguides sind ferner eng mit im Fernsehen ausgestrahlten Tagesaufgaben verknüpft, so dass sich für diese Anbieter ideale Vermarktungsmöglichkeiten bieten.
Kartes Betrachtung erfolgt dabei unter dem Gesichtspunkt der Kommunikationsnotwendigkeit einer Marke, deren Bedingungen er die TV-Formate unterordnet, während Ulbrichts Interesse mehr dem Format und seiner Crossmedialität gilt.
Allen Unkenrufen zum Trotz, betont Kartes, ist Fernsehen eine Marke, weil es wie jede andere Dienstleistung auch konstant wahrgenommen und nachgefragt würde und darüber hinaus erhältlich sei, auch wenn bei einigen Fernsehsendern eher der Zufall denn die Markenarbeit zu erfolgreichen Projekten führt.

Dass die Funktion des Corporate Designs für die TV-Markenbildung weitaus überschätzt wird, ist eine These, der sich auch Manfred Becker von RTL Creation anschließt. Der Creative Managing Director Becker ist der Ansicht, dass die Pressearbeit für den Markenaufbau von RTL viel wichtiger gewesen sei als das Design: “RTL-Logo ist ein Kopf- und Sprachlogo. Mit wem du auch sprichst, du wirst immer Leute treffen, die RTL kennen, die können das Logo aber nicht beschreiben. Kann man deswegen sagen, das ist aber ein Scheiß Logo?“
Becker wehrt sich gegen die Platitüden, die als scheinbar allgemeingültige Design-Regeln daher kommen. Signale können nur wirken, wenn sie wahrgenommen werden. “Was nützt es mir denn da,“ so Becker, “wenn ich über zwei Schriftarten diskutiere, die noch nicht einmal ich voneinander unterscheiden kann.“
Die katastrophale Wirtschaftslage erlaubt es RTL zur Zeit nicht, ein Design-Relaunch durchzuführen, stattdessen können nur immer wieder kleine Veränderungen vorgenommen werden. Aus der Position des Marktführers heraus ist RTL aber auch nicht genötigt, hier aktiv zu werden.

Bei RTL erfolgt die Designentwicklung in Schritten, die fast keiner bemerkt. Ganz anders verhält es sich beim ZDF, das 2001 sein Design komplett umgestellt hat. Neben dem orangen Logo repräsentieren die Farben Rot für Unterhaltung, Blau für Information und Grün für Sport das Gesamtprogramm des ZDF. Die Farbcodierung zieht sich konsequent durch alle Präsentationsformen, ob On-Air, Off-Air oder Online-Promotion.
Der Beweis, dass das neue ZDF-Design multi-channel-fähig ist, wurde allerdings aus Zeit- und Budgetgründen noch nicht in allen Bereichen erbracht. So wurde auf der Homepage bisher lediglich die heute-Familie an die neuen Designvorgaben angepasst.
ZDF-Designer Olaf Repovs betont, dass sich das ZDF hinsichtlich der Markenkommunikation in den letzten Jahren von einem klassischen Fernsehsender zu einem Medienunternehmen entwickelt, das auch über Digitale Kanäle, EPG/Digitext, ZDFmobil, WAP und Online kommuniziert.
Für den Pixelpark Creative Director Udo Hoffmann, der den ZDF-Internetauftritt konzipiert, hieß dies, dass er sich zunächst über die Workflow-Gegebenheiten informieren musste, bevor er sich an das Design wagen konnte. So ist die Implementierung des Content-Manangement-Systems (CMS) vielleicht die eigentliche Herausforderung, die mit der Neugestaltung des Informationsportals verbunden war.

Noch schwieriger stellt sich allerdings die Situation dar, wenn neben einem CMS auch noch ein Audience Relationship Management (ARM) integriert wird, wie dies BBDO InterOne für die RTL World Homepage realisiert hat.
Ausgangssituation war, dass RTL einen effektiveren Weg gesucht hat, das Markenpotenzial von RTL zu nutzen und die Nutzer stärker an die RTL World Homepage zu binden.
D.h. es waren viele Datentöpfe, beispielsweise durch Gewinnspiele, vorhanden, aber man wusste nicht so recht, wie man diese nutzen sollte.
Aufgabe des Audience Relationship Management (ARM) war es also, diese Daten in ein System zu überführen, um die Refinanzierung von RTL World sicherzustellen.
ARM nutzt das Kommunikationspotenzial der Nutzer, um Senderangebote hinsichtlich ihrer Relevanz und Effizienz neu zu gewichten. Die nutzerorientierte Perspektive erfordert geradezu den konsequenten Einsatz aller dialogfähigen Medien. Dabei geht es nicht darum, das Fernsehen zu einer interaktiven Plattform hochzurüsten, sondern Nutzer an die für sie passenden Angebote gezielt heranzuführen, betont Susanne Röber von BBDO InterOne.

In den Augen von Wilfried Rütten stammt die ARM-Messmethodik noch aus der Zeit, in der man glaubte, je mehr Daten generiert würden, desto höher seien die Erlöse, nach dem Motto: "Je mehr ich über meinen virtuellen Kunden weiß, desto mehr kann ich ihm verkaufen.“ Rütten, der für QS Communications im Business Development tätig ist, stellt sich die Frage, ob das nicht ein wenig zu simpel gedacht ist.
Ein ähnliches Problem trifft auch interaktive TV-Spots, wie sie Dirk Kartes in seinem Vortrag vorstellt. Nach den Vorstellungen von Service Plan sollen einmal während eines Werbeblocks über die Austastlücke digitale Sites an die Set-Top-Box übermittelt werden. Über die Menüführung der TV-Fernbedienung soll man sich dann ein Auto zur Probefahrt auswählen können, während das Fernsehprogramm normal weiter läuft.
Solche Applikationen nähren wiederum Zweifel an der Relevanz und Notwendigkeit des digitalen interaktiven Fernsehens, denn solche Dienste gibt es schon lange, wenn auch bloß als Telefon- oder Internetlösung.
Noch grundlegender stellt sich allerdings die Frage, wieso Konsumgüteranbieter nicht gleich solche Aktivitäten unter dem Dach eines eigenen Fernsehkanals anbieten sollten.
Es wird schwierig, die derzeitige Stärke der TV-Brandings, die sich unter einem vergleichsweise geringen Wettbewerbsdruck herausgebildet hat, zukünftig zu verteidigen, wenn plötzlich Firmen wie Nike zu Programmanbietern im Digitalen Fernsehen werden.
Was Manfred Becker von RTL und andere auf dem Eyes & Ears Workshop gezeigt haben, war weitgehend Intra-Station-Branding. In einem Kanaluniversum von 200 bis 300 Kanälen, so Rütten, stellt sich aber vielmehr die Frage: “Wie komme ich überhaupt auf die RTL-Seite meiner Set-Top-Box?“
Nach Ansicht von Rütten ist die neue Nokia Set-Top-Box Media-Terminal diesbezüglich am weitgehendsten entwickelt. Mit 99 x 99 Kanälen ist sie sowohl in horizontaler als auch in vertikaler Richtung navigierbar. Auf einer personalisierten Oberfläche kann man sich individuelle Kanäle bestehend aus E-Mails, Digitalphotos, MP3 und Internetsites zusammenstellen.
Wenn sich jeder seine eigene Oberflächenstruktur zusammenstellt, dann wird sich das Publikum noch mehr fragmentieren, als es derzeit ohnehin der Fall ist. Dies wird das TV-Design vor sehr viel schwierigere Herausforderungen stellen, als es derzeit noch der Fall ist, glaubt Rütten. Es stellt sich z.B. die Frage: “Wie kriege ich den kleinen Icon auf meiner Set-Top-Box promoted?“ Wenn alle gleich behandelt werden - alle Sender müssen diskriminierungsfrei empfangen werden können - dann darf das eine Logo auch nicht mehr blinken als das andere, so Rütten. Das heute sehr ausgefeilte Senderdesign wird dann nicht mehr im gleichen Maße zur Markenbildung und -bindung beitragen können, wie das noch heute bei 35 Kanälen der Fall ist. Es sei denn, das Markenbewusstsein hat sich schon so ausgeprägt, dass die Zuschauer allein schon bei dem kleinen RTL-Logo wissen, was sie erwartet.
Trotz aller Schwierigkeiten glaubt Rütten, dass das Digitale Fernsehen dem Wunsch nach Kommunikation gerecht werden wird und dass der Nutzer auch bereit sein wird, für Upstream-Kommunikation zu zahlen. Erste Ansätze zeigen sich in den sehr erfolgreichen “Wer wird Millionär“ oder “Big Brother“-Hotlines.

Auf BSkyB in Großbritannien erhöhen leichte Interaktion und Gimmicks – z.B. beim Fußball wetten, wer den nächsten Freistoß erhält - die Kundenbindung. Aus der Sicht Klaus Ulbrichts sind diese und andere mehrere Jahre alte Technologien zwar “ein neues Bewirtschaftungscase mit dem man Geld on top verdienen kann. Allerdings werden hiermit nur neue Medien in alten Schläuchen verkauft.“
Dennoch sollte man in Deutschland aufpassen. Ein weiteres Zögern im Ausbau des Kabelnetzes könnte dazu führen, dass die digitale Entwicklung in Großbritannien und Skandinavien der Deutschen noch weiter davonläuft als es ohnehin schon der Fall ist.

Tristan Thielmann
 

 




03.05.02 tt@udk-berlin.de